Wurstsalat garniert – Gastbeitrag von Dr. Hans Balmer
Es herrscht Wahlkampf und PolitikerInnen aller Couleurs wetteifern um die Gunst der WählerInnen. Da verwundert es wenig, wenn am Laufmeter Ideen geboren werden. Das Gesundheitswesen eignet sich dafür hervorragend. Und dieses Jahr überbieten sich die DenkerInnen geradezu.
In die Schlagzeilen geriet neulich die Zürcher Gesundheitsdirektorin, Natalie Rickli, mit ihrem Vorschlag, das Obligatorium der Grundversicherung in Frage zu stellen. Vor Kurzem gesellten sich von ihrem Berner Kollegen, Pierre Alain Schnegg, wie auch vom VR-Präsidenten des Inselspitals, Prof. Bernhard Pulver, Voten dazu, die Grundversicherungsprämien einkommensabhängig auszugestalten. Beides ist unglaublich und höchst erstaunlich, wird doch damit an einem seit Jahrzehnten bewährten Prinzip der Solidarität und auch der Klarheit und Einfachheit gewaltig gerüttelt.
Diese Stilblüten gouvernementalen «Hirnens» sind es wert, näher betrachtet zu werden, weil es um weit mehr als die beiden erwähnten Vorschläge geht. Sie reihen sich nämlich in unseliger Weise ein in eine ganze Reihe eigenartiger Vorstösse und Absichtserklärungen. Natürlich ist unser Gesundheitssystem teuer geworden und natürlich belasten bereits die Grundversicherungsprämien das Portemonnaie gering Verdienender oder grosser Familien beträchtlich. Das heisst nun aber noch lange nicht, dass beim Suchen nach Lösungen Bewährtes flugs über Bord geworfen werden soll. Vielmehr sollte danach getrachtet werden, effektiv Nachhaltiges auf den Tisch des Hauses zu legen. Und dieses Attribut trifft gewiss nicht zu, wenn man Zehntausende von problemlos Versicherten einer einfach handhabbaren und gemäss kürzlicher Watson-Umfrage auch von 75 % gewünschten Grunddeckung berauben und statt des klaren Versicherungsprinzips ein neues Vehikel der Umverteilung schaffen will. Das ist Wurstsalat garniert. Gesundheitspolitik wird mit Einkommenspolitik vermengt, Solidarität von Zweiklassen-Medizin abgelöst.
Es kommt noch schlimmer. Schon heute driften Tarife und Kosten der Leistungserbringer zusehends auseinander, zwei Drittel der öffentlichen Spitäler erreichen die für ein solides Finanzieren von Neu- und Ersatzinvestitionen nötigen Erträge nicht mehr. Subventionen, oft «heimlifeiss» als gemeinwirtschaftliche Leistungen getarnt, und Finanzspritzen wie neulich im Kanton Aargau wuchern geschwürartig in der Landschaft. Miese Tarife sind jedoch erstens ein Affront an die vielen höchst engagiert arbeitenden Gesundheitsfachleute. Zweitens leidet die Transparenz massiv, weil es immer undurchsichtiger und kaum mehr nachverfolgbar wird, aus welchen Geldtöpfen Entgelte und Zuschüsse tatsächlich fliessen. Wenn zudem die Finanzspritze im Kanton Aargau in unmissverständlichem Widerspruch zu einem Rechtsguthaben der Universität Luzern steht, also klipp und klar rechtswidrig beschlossen wurde, wird es mehr als sonderbar. Kantone dürfen sich nicht über Gesetzesnormen hinwegsetzen, sonst werden Ihre Repräsentanten unglaubwürdig. Sie agieren dann wie Kleists Dorfrichter Adam, der den zerbrochenen Krug zu verantworten hat, dabei aber versucht, seine eigene Missetat zu vertuschen.
Erstklassig, effizient und wirtschaftlich erbrachte Leistungen verdienen ein faires Entgelt. Spitäler dürfen nicht zu Almosenempfängern werden. Sie sollen sich schon gar nicht an massive steuerfinanzierte Zustüpfe gewöhnen. So wäre es angezeigt, sauber ausgewiesene Kosten auch vollständig über anständige Tarife abzugelten. Damit entsteht Klarheit, Vergleichbarkeit, Nachverfolgbarkeit, Transparenz und Wertschätzung.
Die gleichen Vorteile sprechen auch für eine obligatorische Grundversicherung mit Kopfprämien. Es kann doch nicht angehen, dass über eine einkommensabhängige Ausgestaltung der Prämien ein weiterer Wust an Bürokratie und Kontrollitis entsteht. Weil besser Verdienende neben der Grunddeckung häufig eine privatrechtliche Zusatzversicherung (VVG) abschliessen, besteht zudem bereits eine Solidarität unter Prämienzahlenden, die klar, einfach und ausserordentlich bewährt ist. Und gerade einfache Lösungen sollte man nicht unreflektiert in Frage stellen.
Gleichzeitig gilt es sehr wohl das Problem der steigenden Prämien anzugehen. Dafür besteht das Instrument der Prämienverbilligung. Besser wäre hier, wenn gering Verdienende von einer Idee profitieren könnten, die gescheite Ökonomen schon vor Jahrzehnten propagiert haben, von einer negativen Einkommenssteuer. Es ist ja egal, weshalb jemand unverschuldet einkommensschwach ist, sie oder er soll anständig und gut versorgt leben können, und das insbesondere ohne Spiessrutenlaufen durch Amtsstuben, um bruchstückartig für das oder jenes Unterstützung zu erhalten.
Wer nun aber Gesundheitspolitik mit Einkommenspolitik vermengt, schafft ein unseliges Durcheinander. Qualitativ einwandfreie Leistungen haben Anspruch auf ein einheitliches faires Entgelt. Ein Kilo Brot beim Dorfbäcker kostet ja auch nicht je nach Portemonnaie mehr oder weniger. Das ist das Eine. Das Andere ist eine wirksame, unbürokratische Hilfe für sozial Schwächere. Das ist nicht mehr als Anstand. Kantonale EntscheidungsträgerInnen täten deshalb gut daran, die nicht immer stubenreinen gemeinwirtschaftlichen Leistungen zu überprüfen und keinerlei widerrechtliche Finanzspritzen mehr zu gewähren. Auf ihren Schultern lastet viel Verantwortung. Über nachhaltige Lösungen nachzudenken wäre deshalb eine Wohltat für SteuerzahlerInnen und WählerInnen. Regierungsrätinnen und -räten, Mitgliedern kantonaler Parlamente und anderen Protagonisten wäre es zu gönnen, wenn sie sich als weitsichtige Persönlichkeiten profilieren würden statt sich der Gefahr auszusetzen, dass ihnen wegen fragwürdiger Vorschläge oder tölpelhaften Finanzjonglierens die rote Karte gezeigt wird.
*Dr. Hans Balmer ist Verleger der Zeitschrift „Clinicum“. Er ist ebenso aktiv als persönlicher Berater von CEOs und Firmen, vorab in den Bereichen Regulatorien, IT, Telemedizin und Prozessoptimierung.
