Wieso, zur Hölle, hast du dich für die Pflege entschieden?!
Gastbeitrag von Patrick Hässig
Dies ist die Frage, welche ich von Berufskolleginnen und Berufskollegen am meisten gestellt bekomme. Wieso Pflege? Ausgerechnet. Du hattest als Radio- und Fernsehmoderator einen Traumjob. Solche Aussagen hörte und höre ich regelmässig.
Seit nun knapp sechs Jahren arbeite ich im Pflegesetting. Zuerst als Student in einer drejährigen HF-Ausbildung, im Anschluss zwei Jahre auf einer grossen Bettenstation der Klinik für Innere Medizin und nun seit ein paar Monaten auf dem Kindernotfall als dipl. Pflegefachmann.
Persönlich hatte ich keine Berührungspunkte zur Pflege. Nie. Niemand in meinem Umfeld arbeitet als Ärztin oder Pflegefachperson. Auch war ich selber noch nie Patient – zum Glück.
Dennoch hat mich die Arbeit der Pflegefachpersonen fasziniert. Vor zehn Jahren absolvierte ich meine, vom Militärdienst übriggebliebenen, Diensttage als Zivildienstleistender. In der Transport- und Bettenzentrale, in einem mittelgrossen Akutspital, begleitete ich den ganzen Tag Patientinnen und Patienten im Bett, Rollstuhl oder zu Fuss in die verschiedenen Untersuchungen. Egal ob ins MRI, CT, Röntgen, in die Memory-Klinik (Demenzabklärung), Dialyse, Onkologie oder Ergotherapie: auf diesen Transportwegen wurde mir zum ersten Mal im Leben bewusst, wie «ausgeliefert» und «abhängig» man als Patienten von den Menschen im Gesundheitswesen ist. In den vielen Gesprächen auch mit den Pflegefachfrauen- und Männern merkte ich, dass die Pflege eine unglaublich sinnstiftende Arbeit macht. Ein paar Jahre später kündigte ich meinen Job als Radiomoderator und sass in die Vorlesungen, lernte lateinische Begriffe, büffelte Pflegeprozesse, machte den Abschluss und arbeite nun in «Weiss». Mit Menschen und nicht mehr mit Mikrofonen, Bildschirmen und Hörerzahlen. Das berührt, das verändert, das öffnet einem die Augen. Neuland. Toll!
Schnell musste ich jedoch feststellen, dass eine zügige Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis besteht. Es wurde mir bewusst, dass teils alte Strukturen, knappe Ressourcen und Stress den Arbeitsalltag (zu) stark beeinflussen. Gelerntes kann nicht so umgesetzt werden wie man es sollte, oder gerne tun würde. Unregelmässige Dienstpläne und die wechselnde Schichtarbeit zwingen einem nach der Arbeit direkt ins Bett. Oder das stetige Fehlen einer helfenden Hand wird zur dauerhaften Herausforderung im Arbeitsalltag. Durch die Covid19-Pandemie und der daraus entstanden Zusatzbelastung war die Zeit in der Pflege schwierig. Viele Kolleginnen und Kollegen kündigten ihre Arbeit, wechselten in eine andere Branche oder liessen sich temporär anstellen.
Da ich nach dem Studium in einem Teilzeit-Pensum gearbeitet habe, gab es für mich die nötige Luft, um dazwischen durchzuatmen. Ich sah, erlebte und hörte jedoch die Kolleginnen und Kollegen, welche sich von einem Arbeitstag in den anderen schleppten. Sie geben das Beste für die Patienten und es reicht doch nicht aus, um die Arbeit so zu machen wie sie eigentlich sein sollte.
Die Menschen in der Pflege sind nicht aus Stahl oder Gummi. Sie haben ein Herz und Hirn. Zum Glück!
Auch wenn dieser Job zwar physisch und psychisch herausfordernd und streng ist, habe ich mich dennoch, zur Hölle nochmal, für die Pflege entschieden. Denn:
Wenn ich bei gehbehinderten Patienten die Stütze sein kann, bei sterbenden Menschen die Hand halten darf oder die grosse Dankbarkeit der Patienten zu spüren bekomme, dann weiss ich, dass der Pflegeberuf etwas unglaublich Wichtiges ist für die Gesellschaft.
Patrick Hässig wurde einer breiten Öffentlichkeit als Radiomoderator bekannt, unter anderem bei DRS 3, Radio 24 und Energy Zürich, ehe er in den Pflegeberuf wechselte. Für die Grünliberale Partei sitzt er im Gemeinderat der Stadt Zürich und im Zürcher Kantonsrat.
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